Hochsaison. Die Flughäfen liegen lahm, an den Bahnhöfen kochen die Gemüter hoch, an den Stränden reiht sich Körper an Körper, Sehenswürdigkeiten werden überrannt, manch einer geht den Jakobsweg und bekommt weder Ruhe noch Besinnung aber zumindest Blasen an den Füßen… Wie mobil ist unsere Gesellschaft doch.
Und wie geist-reich müsste diese Gesellschaft eigentlich sein, nachdem mit jedem neuen Ort, den man erlebt, ein neuer entsprechender Ort in unserem Gehirn entsteht? Ja, tatsächlich, jeder Ort, an dem wir waren, bekommt seine ganz eigene neuronale Verschaltung.
Wenn du nun daran denkst, dass ein Immanuel Kant, wenn nichts anderes so zumindest einer der bedeutendsten Philosophen der Aufklärung, an ein und demselben Ort geboren und gestorben ist, der als steif und an einen festen Tagesablauf hängend bezeichnet wurde und daher so genau das Gegenteil des „agilen“ Typen war und doch auch heute noch der meist rezipierte Philosoph ist, so müssen wir uns doch fragen, ob die äußere Bewegtheit einer inneren Bewegtheit nicht entgegensteht.
Und tatsächlich ist das so.
Denn die ständige Bewegung, das Erfassen und Zuordnen von neuen Eindrücken, beansprucht unsere Schaltzentrale so sehr, dass für das tiefgründige Vernetzen, aus dem erst „ERKENNTNIS“ entstehen kann, weder Energie noch Zeit bleibt. Für dieses tiefgründige Vernetzen – ergo VERSTEHEN UND WEITERENTWICKELN – müssen wir dem Gehirn, damit es „Geist“ wird, wie beim Muskelaufbau in der Kraftkammer immer einen Tag Pause oder zumindest ausreichend Ruhe gönnen.
Der Muskel wächst in der Ruhephase. Und genauso ist es auch mit unserem Geist.
Was wir unser Gehirn durch den schnellen Wechsel von Orten und dem uns Überladen mit neuen Eindrücken lehren, ist AGILITÄT. Wir lernen also SCHNELL ZU DENKEN. Das GUTE DENKEN – im Sinne von vielschichtig vernetztem Denken – lernen wir dabei nicht. Und genau das passiert wohl nicht nur denen, die viel reisen oder ständig irgendwelchen Terminen hinterherlaufen, sondern auch denen, die viel unvernetzten Lernstoff in kürzester Zeit in sich hineinstopfen müssen: in der Schule ebenso wie an den immer spezialisierteren Universitäten, in denen die Studierenden ihre „Ausbildungen“ in kürzester Zeit absolvieren.
Sie wissen viel, aber sie erkennen nichts.
Das Große Ganze bleibt ihnen verborgen.
Die Frage ist also: was willst du sein? Agil oder Geist-reich? Vermutlich beides, denn um in unserer Welt erfolgreich zu sein, brauchst du beides. Gönne dir daher in dieser Zeit, in der alle nach Agilität schreien, ganz bewusst Muße, neue Eindrücke grundlegend zu verdauen und zu Erkenntnissen zu verarbeiten. Gönne dir die Muße, Eindrücken nachzusinnen und vielleicht sogar mit jemandem zu debattieren.
[bctt tweet=“Agilität ohne Geist ist nämlich ungefähr so gefährlich wie Schießen ohne Grund.“ username=“Gleissenebner_T“]